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Rückblick
Schon im Vorfeld wurde über subversive Zeitungen und einschlägige Radiokanäle ausdrücklich dazu aufgerufen: "Nehmt teil an den sechsten Anarchietagen!" Am 12. Februar war es soweit. Schon wieder versammelten sich in Winterthur Anarchistinnen und Anarchisten, die unbeirrt und beharrlich für die Sache der Freiheit einstehen. Diese dreisten Staatsfeinde belagerten für zwei volle Tage ein städtisches Gebäude, welches in früheren Jahren noch dem schweizerischen Militär diente, die "Alte Kaserne". Auf diesen traditionellen Bruch pfeifend, frönten diese Menschen ihrer Leidenschaft: Das Aushecken von Plänen, die nichts weniger umfassen, als die vollständige Zerstörung der bürgerlichen Ordnung mitsamt allen Staaten, Grenzen und Gefängnissen. Sie fordern nicht einen sozialen Staat, sondern erstreben eine soziale Revolution! Auch wenn, zumindest während diesen Anarchietagen, die sozialrevolutionären Ansätze noch mehr theoretischer Natur waren, muss dieses Treffen als Teil einer klar staatsgefährdenden Szene betrachtet werden.
Nur schon die verwendeten Schlagworte beweisen die radikale Einstellung der VeranstalterInnen: "gesellschaftliche Veränderung", "Kommunismus", "revolutionäre Selbstaufhebung", "indigene Kämpfe", "Arbeiterwiderstand".
Ein genauerer Blick in die behandelten Themen bestätigt diese Vermutung:
Es geschah am Freitag, dem 12. Februar 2010. Der anarchistische Syndikalist Holger Marcks, welcher extra aus Berlin angereist war, propagierte ein Konzept der gesellschaftlichen Veränderung, welches Mittel wie Streiks, Boykotte, Sabotagen oder Betriebsbesetzungen als grundlegend ansieht. Marcks, selbst Mitglied der anarchosyndikalistischen Freien ArbeiterInnen Union, sieht in einer basisdemokratischen, revolutionären Gewerkschaft ohne Bosse und Funktionäre ein adäquates Mittel für den Aufbau einer proletarischen Gegenmacht, die konkrete Verbesserungen der Arbeitsbedingungen mit einer revolutionäre Perspektive verknüpfen kann. Die gut 80 Anwesenden waren sich jedoch nicht einig, ob eine gewerkschaftliche Organisation die beste sei.
Am Samstag hätte eigentlich der libertäre Marxist Gerhard Hanloser ein Referat halten sollen, er fiel jedoch krankheitsbedingt aus. Doch flexibel wie diese junge Generation ist, heuerten sie in Kürze einen Genossen der FAU Moers an, welcher die neuesten Entwicklungen im laufenden Arbeitskampf beim Berliner Kino "Babylon" vorstellte. Eine neuartige Dimension hat dieser Arbeitskampf deshalb erreicht, weil der Staat diesen widerständigen ProletInnen eins reingwischt hatte, indem er ihrer Gewerkschaft FAU, das Recht absprach, sich "Gewerkschaft" zu nennen und als solche zu agieren. Wir haben es schon geahnt, diese gesetzlosen ArbeiterInnen hält auch dieses Verbot nicht davon ab, Banden zu bilden und die Produktionsverhältnisse, die Grundfeste der Ausbeutung also, anzugreifen.
Im Anschluss legten die sogenannten "Unabhängigen Rätekommunisten" ihre Vorstellung eines revolutionären Prozesses dar. Dabei übten sie auch Kritik an der angeblichen "Stellvertreterpolitik" der FAU. Die zum Teil hitzige Diskussion wurde von sage und schreibe 120 Personen verfolgt. Zu Wort meldeten sich trotzdem nur Wenige. So glich das Ganze einem "Expertenschlagabtausch", der das Publikum allerdings durchaus zu fesseln vermochte.
In einer wilden und lauten Nacht in dem besetzten Haus "Gisi", gaben Rapmusik-Künstler aus der Szene oder sogar aus dem Untergrund ihre neusten "Lyrics" zum Besten. Der exzessive Charakter dieses Festes war am Sonntag an einigen Gesichtern ablesbar. Zu vormittaglichen Stunden genossen die AnarchistInnen ein gutbürgerliches Zmorge im Gasthof zum Widder. Dieses zwielichtige Lokal, welches schon in der Vergangenheit durch sein meist klassenbewusstes proletarisches Klientel auffiel, gewährte den Teilnehmenden der Anarchietage Raum für die letzten zwei Vorträge.
Per Videozuschaltung über Internet berichtete eine venezolanische Genossin von den indigenen Kämpfen gegen die Pläne der Regierung Chavez. Eigentlich wäre der wirkliche Besuch dieser Genossin vorgesehen gewesen, doch in Barcelona (wo sie zur Zeit lebt) wurde sie kurzerhand an der Ausreise gehindert. Der Grund war die Nichteinhaltung von behördlichen Registrierungsauflagen. Die DrahtzieherInnen der Anarchietage wichen dieser staatlichen Schikanierung aus, indem sie sich flugs der virtuellen Kommunikation per Video bedienten. Die Aktivistin ist Mitglied des "El Libertario-Kollektivs", welches eine gleichnamige Zeitung herausgibt. Darüber hinaus lebte sie mehrere Jahre in indigenen Gemeinden und konnte so aufzeigen, wie Chavez vorgibt einen Sozialismus aufzubauen und gleichzeitig klar neoliberale Projekte vorantreibt.
Zum Schluss motivierte ein freier Gewekschaftsaktivist aus der Region zu handfestem Widerstand gegen "die Pläne des Kapitals". In einer kämpferischen Rede an die anwesenden GenossInnen unterstrich er die Notwendigkeit einer sich ausbreitenden aktiven Solidarität mit laufenden Streiks und Betriebsbesetzungen. Anhand von Arbeitskampf-Beispielen aus aller Welt betrachteten die Anwesenden die Möglichkeiten für einen erfolgreichen Ausgang dieses Klassenkampfes. Dabei kristallisierte sich heraus, dass vor allem die überregionale sowie auch die ausserbetriebliche Solidarität mit den Kämpfenden entscheidend ist. Auch Durchhaltewillen, Unterstützung von solidarischen Leuten und Anspruch auf Autonomie sind entscheidende Elemente. Doch manchmal reicht nur noch eine medienwirksame Aktion, um überhaupt an die Öffentlichkeit zu gelangen, so zum Beispiel die Drohung einiger INNSE-Arbeiter, sich von einem Kran in den Tod zu stürzen, falls nichts geschehe.
Die AnarchistInnen ziehen eine positive Schlussbilanz der Anarchietage. Sehr hohe Besucherzahlen und intensive Diskussionen hätten zu manchen weiterführenden Gedankengängen geführt, sagt eine Exponentin. Vorsicht ist geboten. Das internationale Publikum vernetzte sich, wie es für diese Kreise üblich ist, umgehend und, wenn es so weiter geht - davor sei an dieser Stelle nun ausdrücklich gewarnt - dürften solche anarchistischen Ideen schon bald die Regel statt die Ausnahme sein!
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