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        Samstag 11. Februar 2012 | 12:00h | Alte Kaserne
Jacob, Bonnot & Co. - Ilegalismus in der Belle Epoque
Michael Halfbrodt, Referat und Diskussion

Was ist die Revolution anderes als die kollektive Enteignung der Besitzenden, die Teilhabe aller an den von allen produzierten Reichtümern? Doch was, wenn das grosse Ereignis auf sich warten lässt? Verwandelt sich das Versprechen auf Wohlstand für alle dann nicht allmählich in eine Art christlicher Heilsbotschaft: pie in the sky?

Muss man sich also in Geduld üben und tapfer für bessere Tage agitieren oder beginnt die Revolution nicht immer schon hier und heute? Ist die unmittelbare und notgedrungen individuelle Wiederaneignung des von Wenigen monopolisierten gesellschaftlichen Reichtums ein revolutionärer Akt, möglicherweise gar eine revolutionäre Strategie oder bloss ein gewöhnlicher Akt der Kriminalität, eine Form persönlicher Bereicherung?

Solche Fragen wären in der anarchistischen Szene des späten 19. Jahrhunderts kaum theoretisch diskutiert worden, wenn sie sich nicht praktisch gestellt hätten. Weil immer mehr Genossen begannen, die Eigentumsordnung mit dem Brecheisen in Frage zu stellen. Doch genau genommen war dieser "Illegalismus", wie man ihn später nannte, nichts anderes als eine Verlängerung proletarischer Reproduktion. In den Überlebenskulturen der frühen Arbeiterbewegung war die Frage nach der Legalität des eigenes Vorgehens immer schon eine rein akademische.

Hinter einer überschaubaren Gruppe von Einbrechern und Bankräubern standen also die vielen "Illegalisten" des Alltags: Schmuggler, Geldfälscher, Mietpreller, Fabrikdiebe usw. Eine genaue Trennung zwischen beiden Gruppen gab es nie. Somit ist ein spannendes Kapitel aus der Geschichte des Anarchismus zugleich auch ein spannendes Kapitel moderner Sozialgeschichte.

       
Libertäre Aktion Winterthur * www.libertaere-aktion.ch * law[at]arachnia[punkt]ch